Die Pubertät ist ein Arschloch - Leseprobe

 

Kapitel 1

 

 

Mein Name ist Lukas und ich bin endlich 13 Jahre alt geworden. Das heißt, ich darf mich ganz offiziell Teenager nennen. Eigentlich sollte das der Beginn einer ganz neuen Zeitrechnung werden. Irgendwie wurde es das zwar auch, doch leider ganz anders, als ich mir das vorgestellt hatte.

13. Mit dieser magischen Zahl brachte ich ganz große Veränderungen in Verbindung. Es sollte der unaufhaltsame Weg zur Männlichkeit werden. Gespickt mit unglaublichen Erlebnissen und Erfahrungen, die natürlich durchweg überragend sein sollten. Ich hatte keine Ahnung, dass auf diesem Weg ein übermächtiges Arschloch darauf wartete, mir pausenlos Steine auf denselben zu werfen. Dieses Arschloch nannte sich Pubertät und ich hätte schwören können, dass es seine ganze Energie darauf konzentrierte, nur mir alleine das Leben zur Hölle zu machen.

Bevor jetzt jemand denkt, ich bin nur am Jammern und habe dazu auch noch keine Ahnung von Deutsch, will ich meine kleine grammatikalische Entgleisung kurz erklären. Ich weiß, dass die Pubertät streng genommen kein Arschloch sein kann. Ich habe auch so einiges an anderen Bezeichnungen ausprobiert, doch es gab einfach nichts, das diese Ära in meinem Leben besser beschrieb, als Arschloch. Dumme Kuh wäre ja viel zu harmlos für die Grausamkeiten der Pubertät gewesen. Und außerdem – Mathe kann schließlich auch ein Arschloch sein. Und noch ganz viele andere Sachen, die nicht immer zwangsläufig männlich sein müssen.

Wie auch immer. Bevor es so weit war, schien ich mich in einer schier endlosen Zeitschleife zu befinden, die ständig Umwege nahm und niemals an meinem Geburtstag ankommen wollte. Ich hatte das Gefühl, dass sich immer wieder Tage und Wochen in den Kalender schlichen, die da nicht hingehörten. Es dauerte einfach viel zu lange. Doch irgendwann hatte ich diese ewige Warterei endlich überstanden und der große Tag war da. Ich würde unendlich cool sein, die Mädchen scharenweise um meine Gunst buhlen und meine Muskeln würden über Nacht von alleine wachsen. Das war der Plan.

Doch zuerst passierte rein gar nichts. Weder an diesem geschichtsträchtigen Tag selbst, noch als ich einen Tag nach meinem 13. Geburtstag die Augen öffnete. Alles fühlte sich an wie immer. Vielleicht mit der Ausnahme, dass ich ein ziemlich mulmiges Gefühl in der Magengegend hatte. Das hatte allerdings seinen Ursprung in der unmenschlichen Menge Kuchen, Muffins und sonstigen Süßigkeiten vom Vortag. Den ersten Tag als Teenager musste ich nämlich zwangsweise mit der Verwandtschaft verbringen. Generell war ja eigentlich nichts dagegen einzuwenden, doch meistens zog sich das nach einer Weile wie Kaugummi. Irgendwann sprachen die Alten eh nur noch mit den anderen Erwachsenen und ich hatte, als schmückendes Beiwerk und willkommenem Grund zum Kaffeeklatsch, daneben zu sitzen. Das ließ sich nur durch extrem viel Zucker ertragen. Die standesgemäße Party, die man als Teenager feierte, musste allerdings noch ein paar Wochen warten. Es gab zu diesem Zeitpunkt angeblich zu viele andere wichtige Sachen, wegen denen unser trautes Heim nicht zum Partytempel umfunktioniert werden konnte. Das behaupteten zumindest meine Eltern. Aber sie würde stattfinden und sie würde überragend werden. Zumindest ging ich an diesem Morgen noch uneingeschränkt davon aus. Schließlich war ich jetzt Teenager und nicht mehr aufzuhalten!

Ich war genauso müde wie immer und spürte auch sonst keine ausgeprägte Form von Männlichkeit irgendwo in meinem Körper. Ich konzentrierte mich nach dem Aufwachen noch eine ganze Weile auf Männlichkeit, aber sie versteckte sich wohl noch. Wahrscheinlich würde sie langsam kommen, da ich sonst mit so viel Veränderung auf einmal nicht fertig werden würde. Eine andere Erklärung wollte mir im ersten Moment nicht einfallen und die Natur hatte sich sicher etwas dabei gedacht. Immerhin verzeichnete ich die Beule in meiner Hose als positives Zeichen auf dem Weg zum Mann. Ich wachte zwar nicht das erste Mal so auf, aber das war ja egal.

Der erste Schultag als Teenager war nun endlich da und als ich mich ins Bad schleppte, malte ich mir aus, wie es wäre, mein Traummädchen jetzt anzusprechen. Es war zwar nicht so, dass wir noch nie miteinander geredet hätten, aber es waren eher die typisch kindischen Neckereien, die man mit 12 noch ausgiebig zelebrierte. Mia war schon einige Wochen zuvor 13 geworden, dementsprechend hatte sie schon früher damit aufgehört. Zumindest redete ich mir zu diesem Zeitpunkt noch recht erfolgreich ein, dass es genauso sein musste. Ihre Brüste waren in den letzten Monaten förmlich explodiert und auch sonst war sie ziemlich ansprechend. Ich nahm mir vor, in dieser Woche den ersten Schritt zu tun. Zuerst wollte ich aber noch testen, wie ich jetzt als Teenager so ganz allgemein auf andere wirkte. Danach stand die Offensive auf dem Plan.

Der Nachteil einer Morgenlatte lag eindeutig am Toilettengang. Ich werde das jetzt nicht näher beschreiben, ich denke ihr wisst, wo die Problematik liegt. Anfangs machte ich mir Sorgen, da ich mir nicht sicher war, ob das alles normal war. Zur Sicherheit las ich in Wikipedia einen aufschlussreichen Artikel zu diesem Thema und ich war sehr überrascht. Er übertraf meine kühnsten Erwartungen und versetzte mich in noch größere Vorfreude auf das, was da alles kommen sollte. Könnt ihr euch vorstellen, dass ein gesunder Mensch bis zu fünf Erektionen in der Nacht haben kann? Aber noch viel beeindruckender ist die Tatsache, dass jede einzelne davon zwischen 15 und 40 Minuten dauern kann. Wisst ihr, was das heißt? Uns Männern steht ein wahnsinniges Sexleben bevor! Wenn ihr es nicht glaubt, lest selbst nach. Es steht da genauso drin, ich schwöre.

In Gedanken war ich gerade dabei zusammenzurechnen, wie lange der maximale Gesamtsex am Tag eines ausgewachsenen Mannes sein könnte, als ich beim Blick in den Spiegel einen lähmenden Schock bekam. Ich konnte mich weder bewegen, noch konnte ich meinen Blick von diesem abscheulichen Ding abwenden. Knallrot mit einem gelben Punkt in der Mitte thronte dieses Miststück mitten auf meiner Nasenspitze. Mein erster Pickel.

»AAAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHHHH«, schrie ich dieses eklige Etwas an, konnte den Pickel aber auch damit nicht von meinem Gesicht verbannen.

»Was ist denn los?«, rief meine Mutter einen Moment später und stand sofort ungefragt und ohne anzuklopfen neben mir im Bad. Wenigstens hatte sie die Morgenlatte nicht gesehen. Aber was sollte ich tun? Ich konnte sie genauso wenig wegignorieren wie den Pickel. Ich steckte in einem Zwiespalt. Auf der einen Seite konnte ich es eigentlich schon nicht mehr ertragen, als angehender Erwachsener, meine Mutter im Bad neben mir zu haben. Auf der anderen Seite wusste sie vielleicht, wie man mit so etwas umzugehen hatte. Zumindest behauptete sie in regelmäßigen Abständen, selbst auch einmal jung gewesen zu sein. Was ich mir zwar nicht wirklich vorstellen konnte, aber biologisch ließ es sich ja nicht anders erklären.

»Ich habe einen Pickel«, sagte ich daher vorsichtig und hoffte auf sofortige Heilung. Stattdessen setzte sie ein dämliches Grinsen auf und schien sich sogar darüber zu freuen.

»Du bist in der Pubertät, mein Baby«, frohlockte sie geradezu und ich beschloss, ab sofort immer die Tür zu verriegeln. »Hach, ist das aufregend«, ergänzte sie unnötigerweise noch und rief sogar meinen Vater dazu, um den Pickel zu begutachten. Immerhin hatte wenigstens er so viel Taktgefühl, das Ereignis des Tages nur mit Grummeln und Schulterzucken zu kommentieren. Vielleicht lag es daran, dass er mit geschlossenen Augen ins Bad kam, aber das war mir egal. Der Mann in der Familie schien mich zu verstehen. Immerhin. Mein Vater war zwar schon im biblischen Alter von ungefähr 40 Jahren, aber dafür war er noch ziemlich gut drauf. Er spielte in einer Rockband und war auch sonst ziemlich locker. Meistens zumindest. Gelegentlich schaffte ich es aber schon, ihn aus der Fassung zu bringen. Im Großen und Ganzen gab es an meiner Mutter aber auch nicht viel auszusetzen. Ich hatte mal gelesen, dass manche Mütter bei ihren pubertierenden Söhnen in puncto Bemuttern den Absprung einfach nicht schafften. Ich versuchte ihr das noch eine Weile nachzusehen, aber falls sie nicht freiwillig aufhören würde, mich in der Öffentlichkeit zu drücken und zu küssen, müsste ein klärendes Gespräch stattfinden. Doch das war an diesem Morgen eigentlich alles nebensächlich. Was zählte, war einzig und allein dieser verfluchte PICKEL auf meiner Nase.

Meine Mutter hatte ausgesprochen, was ich zu verdrängen versucht habe. Das Teenagerleben stand hormonell gesehen unter einem ziemlich schlechten Stern. Kein Teenager ohne Pubertät. Das war eine unausweichliche Tatsache, der ich mich an diesem Morgen stellen musste. Und ich war nicht im Geringsten darauf vorbereitet. Für jeden Scheiß musste man eine Prüfung absolvieren und hier wurde man einfach ins kalte Wasser geworfen. Das war voll unfair.

»Das gehört dazu, Lukas«, sagte meine Mutter und bemerkte wohl immer noch nicht, dass ich mich in diesem Moment in der größten Krise meines Lebens befand. Es war schrecklich. So konnte ich unmöglich in die Schule gehen. Was sollte Mia von mir denken.

»Du musst mir eine Entschuldigung schreiben!«, forderte ich, doch meine Mutter hatte nur ein müdes Lächeln und eine unnötige Bemerkung dafür übrig.

»Da musst du durch«, war ihre Antwort auf meine Krise. »Ich kann dir ja nicht die nächsten fünf Jahre Entschuldigungen schreiben.«

Dieser Satz war definitiv zu viel für mich. Fünf Jahre? Sollte das etwa heißen, ich müsste erst 18 werden, um diese verdammten Pickel wieder loszuwerden? Ich entschied mich dafür, nicht nachzufragen und die Hoffnung zu wahren, dass meine Mutter von Pickeln keine Ahnung hatte.

»Kann ich mich dann fertigmachen?«, fragte ich genervt, nachdem sie keine Anstalten machte, das Bad zu räumen und ihren pubertierenden Sohn mit sich selbst und seinen Problemen alleine zu lassen.

»Ach so. Äh, ja«, antwortete sie und verließ mit einem kindischen Kichern das Badezimmer. Das machte mich wahnsinnig. Ich wusste nicht, wie ich den Tag überstehen sollte und sie kicherte. Unfassbar!

Und dann war ich wirklich alleine. Besser gesagt wir waren alleine. Nur ich und der Pickel. Ich hätte schwören können, er war schon wieder gewachsen. Bei älteren Schülern hatte ich manchmal schon beobachtet, wie sie sich auf der Schultoilette diese fiesen Dinger ausdrückten. Was blieb mir anderes übrig? Die Zeit drängte, das Frühstück würde ich auch nicht mehr schaffen und der Pickel musste weg. Also drückte ich. Ich drückte so lange, bis ich Tränen in die Augen bekam. Meine Nasenspitze pochte vor Schmerzen, doch der erhoffte Erfolg blieb aus. Als ich wieder halbwegs aus den Augen schauen konnte, fiel ich fast in Ohnmacht. Ich hatte keine Nase mehr, sondern das Ding, mitten in meinem Gesicht, war ein einziger riesengroßer Pickel. Meine Nase sah aus, wie die eines Säufers. Nur mit dem feinen Unterschied, dass der gelbe Eiterpunkt in der Mitte immer noch da war. Ich war am Ende. Verzweifelt suchte ich nach einem Pflaster, klebte es mir auf den Pickel und sah damit fast noch bescheuerter aus, als zuvor. Ein kurzer Blick auf die Uhr holte mich wieder ins Leben zurück und ich zog mich hektisch an. Kämmte mir in der Eile notdürftig die Haare und rannte die Treppe hinunter. Meine Mutter hatte wohl geahnt, dass es länger dauern würde, und reichte mir im Vorbeigehen mein Pausenbrot. Ich rannte zum Bus so schnell ich konnte. Es reichte gerade noch, um hinter dem letzten Schüler in den Bus zu springen und ich ließ mich, ohne darüber nachzudenken, auf den erstbesten freien Platz fallen. Das war das erste Mal, dass dieser Platz noch frei war. Es war nämlich der Platz neben Mia, auf dem normalerweise immer ihre beste Freundin saß. Unter normalen Umständen hätte ich mich wahrscheinlich niemals getraut, diesen freien Platz zu nehmen. Eher hätte ich mich freiwillig in den Gang gestellt. Doch jetzt wieder aufzustehen wäre noch blöder gewesen. Also blieb ich sitzen und das Unfassbare passierte. Mia sprach mich an.

»Hattest du nicht am Wochenende Geburtstag? Alles Gute nachträglich«, sagte sie und schaute dabei unverhohlen auf mein Pflaster. Wahrscheinlich konnte man auch nirgendwo anders hinschauen. Viel wichtiger an dieser Situation war aber die Tatsache, dass sie überhaupt wusste, wann ich Geburtstag hatte. Später fiel mir ein, dass sie es natürlich von Facebook wusste. Das war das Erste, was ich an meinem 13. Geburtstag gemacht hatte. Ich legte den versprochenen und lang ersehnten Facebook-Account an. Mit einem Foto ohne Pickel.

»Äh, ja, danke«, antwortete ich stotternd und plötzlich fiel mir siedend heiß ein, was ich vergessen hatte.

Zähneputzen.

Dann saß ich also endlich neben dem tollsten Mädchen aus der Klasse im Bus und hatte Mundgeruch, einen riesigen Pickel unter einem Pflaster auf meiner Nase und transpirierte vor mich hin. Ich schwitzte, weil ich gerannt bin und ich schwitzte, weil ich so nervös war, wie noch nie in meinem Leben. Überflüssigerweise kam mir in diesem Moment noch die Aufforderung meiner Mutter in den Sinn, mich öfter zu duschen, weil Jugendliche in der Pubertät beim Schwitzen furchtbar stinken würden. Na toll. In diesem Moment wusste ich, dass die Pubertät ein Arschloch war.

Es wurde die längste Busfahrt meines Lebens. Ich versuchte mich keinen Millimeter mehr zu bewegen, in der Hoffnung die Geruchswolke möglichst nahe an meinem Körper zu halten. Vielleicht würde Mia ja nichts riechen. Im Optimalfall hatte sie vielleicht sogar Schnupfen.

Ich sollte nie erfahren, ob sie etwas gerochen hatte oder nicht. Jedenfalls stellte sie die Kommunikation nach der kurzen Glückwunschfloskel wieder ein und wir schwiegen uns den Rest der Fahrt an. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie womöglich die Luft anhielt, um meinen Gestank nicht ertragen zu müssen. Es war schrecklich. Und das war erst der Anfang dieser verdammten Pubertät.