Die Lösung ist eine Männer-WG - Leseprobe

Kapitel 1 – Matthias

 

»MATTHIAS!«, hatte er seinen Namen durch die ganze Wohnung hallen gehört. »Warum hängt die Jacke immer noch über dem Stuhl? Ich hab dir doch schon vor fünf Minuten gesagt, dass sie weg muss!«

Das Organ, das bei Matthias gerade Mark und Bein erschüttert hatte, gehörte zu seiner (noch) Freundin Bine. Den Kosenamen hatte er Sabine gegeben, als er noch nicht davon überzeugt gewesen war, dass das einzige was Sabine mit einer Biene gemeinsam hatte, der Stachel war. Die richtige Biene hatte immerhin noch den Vorteil, dass sie nach Benutzung des Stachels verendete. Bei seiner Bine war das nicht so gewesen. Sie konnte ihren Stachel pausenlos verwenden. Manchmal dachte er, sie würde nur noch aus Stachel bestehen. Es war Matthias unerklärlich, warum eine Jacke nicht auf die Lehne eines Stuhles gehören sollte. Sie hatte die perfekte Form dazu und schließlich hing seine Jacke ja sogar auf der Lehne des Stuhls, der sowieso nie benutzt wurde. Und außerdem war es ja auch ein Stück weit seine Wohnung. Zumindest hatte er sich das eingeredet, als sie gemeinsam eingezogen waren. Aber schon damals war schnell klar gewesen, dass hauptsächlich die Kosten und Pflichten geteilt wurden. Bevor Matthias sich versah, hatte er schon einen Plan am Kühlschrank hängen, der seine Freizeit nicht wirklich nach seinen Bedürfnissen eingeteilt hatte. Er hatte auch auf einmal Hobbys, die er zuvor nicht hatte. Hobbys von denen er gar nichts wusste. Und schon gleich nach dem ersten Saufgelage mit seinen Freunden hatte ihm Bine klargemacht, dass das so nicht funktionieren würde. Schließlich seien sie ja keine Kneipe. Sie könne unmöglich nach Alkohol stinkende Männer in ihrer Wohnung ertragen. Ein schöner Spieleabend mit ihren Freunden, das wäre nett. Matthias fand sich damit ab und musste aber feststellen, dass auch der gemeinsame Kneipenbesuch mit anschließendem Totalausfall nicht auf Bines Liste der akzeptablen Freizeitbeschäftigungen ihres Freundes stand. Das war ab dem nächsten Tag auch verboten. Auch das konnte er, in seiner immer noch anhaltenden Begeisterung für seine Freundin, ohne Probleme wegstecken. Irgendwann hatte sie ihm Nahe gelegt seine Haare abzuschneiden, die Lederjacke in den Schrank zu hängen, Stoffhosen anzuziehen und mit ihr am Samstag zu den Polohemdenträgern auf den Tennisplatz zu gehen. Tennis war eines der neuen Hobbys von denen er nichts wusste. Ihre Freunde heuchelten sogar ein reges Interesse an ihm. Sie konnten sich nie wirklich entscheiden, wer denn jetzt dem Matthias die Bälle um die Ohren hauen sollte. In Matthias´ Augen war Tennis der absolute Scheißsport und die Deppen in ihren netten weißen Höschen die letzte Gattung Mensch, die Matthias sich als Freundeskreis ausgesucht hätte. Zumindest waren die Tennisspieler, die er kennengelernt hatte, Deppen. Aber das konnte er ja seiner Bine nicht sagen. Sie hatte sich schließlich so gefreut, als sie ihm eine schicke Tennisausrüstung zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie konnte ihre Begeisterung für ihre Wahnsinnsidee kaum in Grenzen halten und stellte fest, dass dies das beste Geschenk war, dass sie je einem Mann gemacht hatte. Und darauf hatte er sich verdammt noch mal was einzubilden. Es war ja auch naheliegend, dass ein langhaariger, lederjackentragender und am liebsten unrasierter Mann, ein Krokodil auf dem Polohemd haben wollte. Gleich nachdem die Haare ab waren und die Lederjacke im Kellerschrank dahinvegetierte.

Was ihn dann aber zum ersten Mal wirklich nachdenklich gemacht hatte, war die Aussage seiner Freundin, dass er früher irgendwie männlicher gewesen wäre. Als ob es seine Idee gewesen wäre, alles was ihm selbst männlich erschien, aus seinem Alltag auszuradieren. Genau diese Gedanken kamen ihm wieder in den Sinn, als er sein feines Jackett, welches mittlerweile die geliebte Lederjacke ersetzt hatte, von der Stuhllehne genommen hatte. Mit einem Lächeln im Gesicht ging er mit der Jacke an der Garderobe vorbei und lief an die Wohnungstür.

»Was machst du denn jetzt schon wieder?«, keifte ihm Bine ziemlich genervt hinterher. »Du bist an der Garderobe vorbei gelaufen.«

»Ich räume auf«, antwortete er in aller Ruhe, schaute sich zu seiner Freundin um und schenkte ihr im Hinausgehen ein Lächeln, das sie wiederum an seinem Geisteszustand zweifeln ließ. Für einen kurzen Moment hielt er inne, weil Bine wohl kurz davor stand, sich aufzublähen wie ein Kugelfisch bei Gefahr. Sie schnappte nach Luft und musste erst einmal mit der Tatsache fertig werden, dass ihr soeben indirekt widersprochen wurde. Leider kam er nicht in den Genuss dieses Naturschauspiels, zuckte, für seine Freundin völlig unverständlich, mit den Schultern, ging durch die Tür und knallte diese so richtig schön laut zu. Das wollte er schon immer mal machen.

Matthias fühlte sich super und hüpfte beschwingt die Treppe hinunter zum Keller. Er blieb vor dem Mülleimer stehen, schaute diesen etwa fünf Minuten an und nahm seinen ganzen Mut zusammen. Er öffnete den Deckel und legte mit zitternder Hand, das Jackett in die Tonne. Er ließ den Deckel zufallen und ein überwältigendes Gefühl überkam ihn. Es war ein Stück Freiheit, eine kleine Revolution, die er selbst ausgelöst hatte.

»Jaaaaaa«, schrie er, und seine Stimme hallte durchs ganze Treppenhaus. Es überkam ihn ein Adrenalinschub, wie er ihn eigentlich nur bei gutem Sex hatte. Auf die Erörterung, wann das zum letzten Mal vorgekommen war, verzichtete er lieber aus Angst in eine tiefe Depression zu verfallen. Sein Blick schweifte nach links. Dort war in ihrem Kellerraum ein alter Schrank für Sachen, die nicht mehr, oder nicht mehr so oft gebraucht wurden. Unter anderem war genau da auch seine Lederjacke drin. Und auch sonst bestand dessen Inhalt zu etwa neunundneunzig Prozent, aus Sachen die Matthias, Bines Meinung nach zumindest, nicht mehr brauchen würde. Feierlich öffnete er die Tür und der Glanz des schwarzen Leders und der Nieten darauf, erhellten den ganzen Kellerraum. Er fühlte sich wie König Artus, als dieser den Auftrag vom Herrn höchstpersönlich bekommen hatte, den heiligen Gral zu suchen. Nur, dass seine Aufgabe weitaus einfacher umzusetzen war und eigentlich nur durch den modrigen Geruch, der aus dem Kerker seines Lieblingskleidungsstückes drang, formuliert wurde.

»Zieh mich an und betrink dich«, lautete die nicht falsch zu verstehende Aufforderung, die ihm geradewegs in Form einer nostalgischen Erinnerung aufgetragen wurde.

Er streifte die Jacke über und das verloren geglaubte Gefühl der Männlichkeit kam mit einem Schlag zurück. Vergessen war die Qual des Anblicks seiner Stoffhosen und Leinenschläppchen, wie sie an ihm klebten, ohne jemals wirklich zu ihm zu gehören. Und dann ging auf einmal alles ziemlich schnell. Zumindest konnte sich Matthias am nächsten Nachmittag nur noch bruchstückhaft an den letzten Tag erinnern, als er mit furchtbaren Kopfschmerzen erwachte und ein sehr säuerlicher Geruch in seine Nase stieg, den er aber nicht gleich deuten konnte.

 

Er hatte sich am Vortag auf das Date mit seiner Lederjacke eingelassen und machte sich auf den Weg, eine dem Anlass entsprechende Lokalität zu finden, in der er ausgiebig das Wiedersehen mit seinem, schon fast verloren geglaubten, heiß geliebten Relikt aus guten Zeiten, feiern wollte. Es war ein Erfolg auf der ganzen Linie. Die Lederjacke verzieh ihm jeden Schluck Bier, den er über sie ergossen hatte, als er nicht mehr fähig war das Glas gerade zu halten. Völlig anders als die nichtsnutzigen Blazer, die ihm Bine mitgebracht hatte. Keine Stunde hätten sie durchgehalten. Sollten doch ihre bescheuerten Freunde aus dem Tennisclub diesen Mist anziehen und spazieren tragen. Für ihn war das nun endgültig vorbei.

Wie durch ein Wunder kam Matthias, auch wenn er sich nicht mehr daran erinnern konnte, unbeschadet zu Hause an. Er fand sogar noch, nachdem er morgens um vier Uhr mehrfach gegen die Tür gefallen war, das Schlüsselloch. Weil er seine Lederjacke schon so lange nicht mehr gesehen hatte, beschloss er kurzerhand in ihr zu schlafen. Was er dann auch umgehend tat - gleich nachdem er im Vorbeilaufen auf Bines Bettvorleger gekotzt hatte. Eigentlich kam er auf dem Weg an seine Seite nur an der Stirnseite des Bettes vorbei. Doch durch seine unkontrollierbaren Koordinationsprobleme bog er noch kurz in die Gasse zwischen Bines Bettseite und dem Kleiderschrank ein, entledigte sich seines gesamten Mageninhaltes und bekam nicht einmal ansatzweise mit, dass Bine durch den Schrei, den er bei seinem Missgeschick ausgestoßen hatte, wach geworden war.

Ihren Brief, in dem sie ihm lang und breit erklärt hatte, dass sie maßlos enttäuscht sei, kurzerhand bei ihm aus und bei Robert aus dem Tennisclub eingezogen sei, fand er erst später bei der Suche nach Kopfschmerztabletten. Am meisten wunderte ihn die Aussage, dass sie bei IHM ausgezogen sei. Bis vor ein paar Stunden war es maximal zu fünf Prozent seine Wohnung gewesen.

Im ersten Moment wollte er sich spontan über die neu gewonnene Freiheit freuen. Doch das klappte nicht auf Anhieb. Und das ließ ihn schon wieder sauer auf Bine werden. Warum konnte er sich denn jetzt nicht einmal über seine wieder gewonnene Unabhängigkeit freuen? Scheinbar hatte Bine sogar noch von Weitem die Fähigkeit ihm das Leben schwer zu machen. Wahrscheinlich saß sie gerade irgendwo und steckte Nadeln in den Kopf einer lederjackentragenden Voodoopuppe. Zumindest fühlte sich sein Kopf so an. Er beschloss die Kopfschmerzen ausnahmslos Bine zuzuschreiben und stellte sich dabei bildlich vor, wie sie bei Robert auf der Couch saß – mit der Puppe in der Hand. Er war mit Sicherheit furchtbar verständnisvoll, dieses elende Weichei.

Den Rest des Tages verbrachte Matthias fast ausschließlich in der Horizontalen. Und umso länger er darüber nachgedacht hatte, desto mehr freute er sich am Ende, dass Bine ihm diese Entscheidung abgenommen hatte. Trotzdem kam ganz sachte das Gefühl der Wehmut in ihm auf, weil er den gewohnten Ablauf etwas vermisste. Doch er kämpfte eisern und mit dröhnendem Schädel dagegen an. Ungefähr sechsundneunzig mal stellte er sich vor, was Bine für ein Theater machen würde, wenn sie seine Lederjacke auf dem Boden herumliegen sehen würde. Er nahm sich vor, diese unverändert liegen zu lassen, bis er sie das nächste Mal anziehen würde.