Wolfgang Zwölfgang #1 - Das Böse

Kurzgeschichte:

 

 

Das Böse hatte für Wolfgang Zwölfgang viele Gesichter. Meistens waren diese ziemlich stark geschminkt, liefen auf Schuhen mit hohen Absätzen und hatten längere Haare, als er. Aufgrund seiner etwas anderen Art zu sprechen, der regelmäßigen Fehlinterpretation unterschiedlichster Situationen und seiner recht einfachen Natur, wurde er für die Gattung der arroganten Frau häufig zum Ziel von Gehässigkeiten. Diese wusste natürlich nicht, dass sich hinter seiner Fassade auch eine unbeabsichtigte Schlagfertigkeit versteckte, der sich Wolfgang selbst nicht bewusst war. Irgendwie schien er immer wieder zu vergessen, dass er die letzte unangenehme Situation am Ende doch für sich entschieden hatte. Vielleicht mit fragwürdigen Mitteln, aber das konnte er ja sowieso nicht einschätzen. Dieses Mal zeigte sich das Böse in Form der neuen Aerobictrainerin in seinem geliebten Fitnessstudio. Die Vorgängerin wurde von seinem Kumpel Matthias aus der Männer-WG in die Flucht geschlagen. An diesem Tag war er allerdings auf sich alleine gestellt. Von seinem Freund und Mitbewohner Ölaf konnte er leider auch keine Hilfe erwarten, da dieser hier als Trainer beschäftigt war. Auch wenn er nicht wirklich begeistert von seiner neuen Kollegin war.

»Die Neue ist wohl die gleiche Schnepfe als ihre Vorgängerin, nu. Die hat heute ihren Probetag«, flüsterte Ölaf in astreinem Sächsisch Wolfgang ins Ohr. Dieser hatte nicht gesehen, dass sie bereits hinter ihm an der Theke stand.

»Meinst Aerobictante ist echt genauso dumme Zicke, wie letzter Hungerhaken?«, fragte Wolfgang viel zu laut und Ölaf zog das Genick ein.

»Psst«, zischte Ölaf. »Sie steht hinter dir, nu.« Aber das war leider zu spät. Wolfgang drehte sich um und stand direkt vor dem neuen Drillinstructer der Poweraerobicgruppe. Sie schaute ihn an, als würde sie versuchen ihn alleine durch ihre Blicke in die Flucht zu schlagen. Vielleicht klappte das ja auch bei anderen Männern. Zumindest ließen sich bestimmt viele von ihr einschüchtern. Sie sah streng, aber auch unglaublich gut aus. Ihre Figur war wie aus Stein gemeißelt. Sie hatte den perfekten Körper. Doch Wolfgang gehörte nicht zu den Männern, die das beeindruckte. Er stand mehr auf Kurven, als auf Knochen und konnte mit dem Bild der perfekten Frau, das durch die Medien vermittelt wurde, nichts anfangen. Vielmehr verknüpfte er damit eher das Böse der Frau. Viel zu oft hatten ihn Exemplare dieser männlichen Wunschvorstellung schon blöd angemacht oder sich über ihn lustig gemacht. Gut, vielleicht war er durch seine gelegentlichen Anabolikakuren ein wenig zu breit geworden, aber das ist ja schließlich jedermanns eigene Sache. Auf jeden Fall kein Grund, über einen zu lästern.

»Hast du gerade mich gemeint?«, wollte das kantige Gesicht gegenüber von Wolfgang wissen.

»Ähh«, sagte Wolfgang, der in diesem Moment sogar noch vorhatte, sich zu entschuldigen. Aber leider kam er nicht dazu. Die Aerobictante meinte sofort ihre Chance zu erkennen und wollte sich wohl vor den anderen etwas wichtig machen. Das Zögern von Wolfgang veranlasste sie zu einer Reaktion, die sie später bereuen sollte. Sie konnte auch nicht wissen, dass Wolfgang trotz seiner Art sehr beliebt war. Er war einfach ein bisschen anders, aber trotzdem liebenswert. Und für die meisten Mitglieder war das Fitnessstudio ohne Wolfgang undenkbar.

»Du glaubst wohl auch, dass du frech werden kannst, nur weil du aussiehst, wie das Michelinmännchen aus der Werbung. Wahrscheinlich bist du innen auch genauso hohl wie ein Autoreifen.«

Mit diesem Satz hatte sich die Entschuldigung von Wolfgang erledigt. Klein beigeben war auch nicht seine Art und es kam, wie es kommen musste. Wolfgang platze sofort der Kragen. So etwas wie Frustrationstoleranz gab es für ihn nicht und seine Reizschwelle war wie ein dicker Balken, bei dem es nur drüber oder drunter gab.

»Brauchs net meine, nur weil ganze Woche Körner frisst und aussiehst wie Fahrradspeiche von Rennrad, kannst hier auf Chef mache.«

Für einen kurzen Moment schien seine Gesprächspartnerin die Sprache verloren zu haben. Sie blinzelte dreimal heftig und setzte dann aber zum Gegenschlag an.

»Lern du erst mal richtig sprechen, bevor du solche Reden schwingst.« Dieser Satz war der Anfang vom Ende. Wolfgang gehörte in diesem Studio zum Inventar und genoss daher einen Sonderstatus. Doch diesen brauchte er nicht einmal ausspielen. Er meisterte diese Situation auch so. Selbst Ölaf wollte nach dieser Aussage seinen Freund nicht mehr zurückhalten. Sollte sie doch mit ihm alleine fertig werden. Oder eben nicht.

»Nur weil schon mal Telefonbuch gelese hast, brauchst net einen auf wichtig mache. Weiß schon, wie Hase läuft.«

Mittlerweile hatte sich eine kleine Traube Schaulustiger um die beiden Streithähne gebildet.

»Mit so einem Vollidioten wie dir muss ich mich doch gar nicht abgeben.«

Mann konnte vieles zu Wolfgang Zwölfgang sagen. Aber Idiot gehörte zu den Worten, die man besser nicht benutzte, um ihn zu beschreiben. Das nahm er persönlich.

»Das war Fehler«, sagte er mit bösem Blick.

»Und jetzt?«, fragte sie und erkannte den Ernst der Lage noch nicht. »Willst du mir meinen Mineraldrink stehlen, wenn ich mich nicht entschuldige?«

Die Luft kochte, aber die zukünftige Ex-Trainerin realisierte immer noch nicht, dass sie zu weit gegangen war. Wolfgang schnappte sich seine Widersacherin, legte sie über seine Schulter und trug sie in Richtung Ausgang.

»Hey!«, schrie die junge Frau, von der noch keiner den Namen wusste. »Lass mich runter, du Anabolikajunkie.«

»Bring dich raus zu Mülleimern, wo hingehörst«, schaubte Wolfgang extrem erregt.

»Das wirst du bereuen«, schrie sie. »Kann denn jemand mal dieses Riesenbaby aufhalten?« Doch anstatt schneller Hilfe bekam sie nur ein ziemlich einheitliches Kopfschütteln zu sehen. Ihren ersten Tag hatte sie sich anders vorgestellt. Vor allem hatte sie nicht damit gerechnet, dass es auch gleichzeitig der Letzte werden könnte. Irgendwie wollte nicht einmal der Chef des Studios etwas dagegen unternehmen. Wolfgang trug sie strampelnd aus dem Studio, bog um die Ecke und stellte sie tatsächlich bei den Mülleimern ab.

»Brauchs net meine, dass mir wieder unter Auge trete kannst. Wenn schlau bist, kommst net wieder rein.«

»Aber ich bin doch die Trainerin«, versuchte sie einen letzten Trumpf auszuspielen. Ohne Erfolg.

»Kannst ja Chef mal anrufe. Glaub net, dass der aufgeblasene Vorhangstange als Trainerin habe will. Vielleicht kannst ja Trainerin von Stockschnepfeverein mache.«

Wolfgang drehte um, lief zur Tür und sah im Augenwinkel, dass hinter ihm doch tatsächlich die Trainerin angelaufen kam. Er schnellte einen Schritt in ihre Richtung und stampfte so fest er konnte auf dem Boden auf. Ohne ein weiteres Wort blieb sie erschrocken stehen und schaute ratlos aus ihrem hautengen Catsuit. Durch die Scheibe hatten natürlich alle Anwesenden das kurze Schauspiel verfolgt und zu ihrer Verwunderung, sah sie den Chef des Studios mit ihrer Tasche zum Ausgang kommen.

»Ich glaube das wird nichts mit uns«, sagte er und ging mit Wolfgang zusammen wieder zurück. Wie ein begossener Pudel stand sie da und konnte immer noch nicht glauben, dass sie diese Schlacht verloren hatte. Drinnen richtete der Chef, obwohl er sich eindeutig auf dessen Seite geschlagen hatte, ein paar Worte an Wolfgang.

»Ich kann deinen Ärger verstehen. Aber in Zukunft solltest du vielleicht um die Trainerinnen einfach einen Bogen machen. So viele laufen da auch nicht frei herum.«

»OK, Chef«, entgegnete Wolfgang. »Aber Aerobictussi hat mit dummem Geschwätz auch promoviert.«

»Provoziert, Wolfgang. Das Wort heißt provoziert«, verbesserte der Chef. Er war der einzige, der das durfte, ohne dass Wolfgang sich darüber ärgerte.

»Weiß doch. Mund hat nur anderes Wort gesagt, wie Kopf gedacht. Weiß schon wie Hase läuft.«

 

 

 

ENDE